Institut für Betrachtung

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Wolfgang Brauneis

A Young Person's Guide To Die Wait Watchers

Eine Überblick, in Form einer kommentierten Diskographie, über die Produktionen der Wait Watchers, der Combo des Bildenden Künstlers und Musikers Tim Berresheim. Veröffentlicht im Rahmen des Meakusma-Festivals 2018.

Die Wait Watchers, Transit K7 (New Amerika Tapes / 2013)

Nachdem Tim Berresheim 2011 mit Pondering W.T.F. No Methodology sein letztes Soloalbum veröffentlicht hat – eine janusköpfige Angelegenheit mit Gabbastücken auf der einen und Darkambienttracks auf der anderen Seite –, produzierte er gemeinsam mit Andi Thissen, dem Bassisten von The Nazi Dogs, 2012 das Tape SOS Kublai Khan anlässlich seiner Berliner Einzelausstellung Tarnen und Täuschen - Too Long; Didn’t Read SOS, in der neue Formen der Kartographierbarkeit und Verortbarkeit in Folge digitaler Technologien eine wichtige Rolle spielten. Im Jahr darauf folgte mit Transit das Debütalbum der Wait Watchers – dem Trio von Berresheim an Synthesizer und Drumcomputer, Thissen und dem Gitarristen Michael Bente –, das wiederum zu der Einzelausstellung Early Bird Sigh (Traces) in den Berliner Kunstsälen erschien, in deren Rahmen das Thema des Transit, in dem sich die aktuelle Kunstproduktion sowie der -betrieb befanden und immer noch befinden, verarbeitet und von dem instrumentalen, alles zwischen Improv und No Wave verschlingenden, und nur vordergründig entspannten Wartezimmersound der Combo untermalt wurde. Anspieltips: Transit, Railroad Crossing, Voyager

Tim Berresheim & Jonathan Meese, Don’t Call Us Piggy (New Amerika LP/CD / 2004)

Schon seit den frühen 00er Jahren steht die Musik von Tim Berresheim in engem Zusammenhang mit seiner primär digitalen Kunstproduktion, wobei die Jahre zwischen 2002 und 2006 vor allem von zahlreichen Tonträger mit Jonathan Meese unter diversen Pseudonymen gekennzeichnet war. Am offensichtlichsten wurde der Link zwischen Bildender Kunst und Musik bei ihrem dritten, schwer technoiden Album Don’t Call Us Piggy, das zusammen mit der 7“ Call Us Cum zur gemeinsamen Ausstellung in der Kölner Galerie Hammelehle und Ahrens veröffentlicht wurde. Die CD-Version beinhaltet im übrigen Filmmaterial des einzigen gemeinsamen Auftritts der beiden, der seinerzeit im Laden von a-Musik stattfand. Unter dem Projektnamen Die Teezeremonie endete 2006 die mehrjährige musikalische, stilistisch höchst divergente Kollaboration auf äußerst entspannte Weise, mit der ambienten 12“ (nett). Anspieltips: My Love Is Your Love, I Will Love

Die Wait Watchers, Mammal Finger 7“ (New Amerika Tapes / 2015)

Sowohl zwischen den Longplayern mit Jonathan Meese als auch den Alben der Wait Watchers wurden immer wieder 7“s eingeschoben, gerne auch zum Thema Weihnachten – von Christmas Was Born über die Veröffentlichung der beiden als Die Christmaskameraden auf Meeuw Muzak bis hin zur Natty Christmas Single der Wait Watchers 2015. Im jenem Jahr erschien, im Hinblick auf Berresheims Werk im Allgemeinen, auch deren sicherlich programmatischste Veröffentlichung. Auf Mammal Finger untermalen die drei eine Rezitation von Richard Brautigans 1967 verfasstem Gedicht All Watched Over By Machines Of Loving Grace,  das dem selbsternannten, die Idee des Computers als einer „Machine Of Loving Grace“ unverdrossen propagierenden „kybernetischen Hippie“ Berresheim als regelrechter Leitfaden dient. Erschienen ist das gute Stück im Zuge des bis zum Meakusma-Festival einzigen Auftritts der Wait Watchers in den Kling Klang Studios in Düsseldorf. Anspieltip: Mammal Finger

Die Wait Watchers / Tattoo Rock, Unknown Unknowns / Antifolklore LP (New Amerika Tapes / 2013)

In Auszügen wurden die ersten beiden, ursprünglich ausschließlich als Kassette herausgebrachte Alben der Wait Watchers, Transit und Unknown Unknowns,  auf der Split-LP mit Tattoo Rock wiederveröffentlicht. Bei letzteren handelt es sich um dieselbe Blase, doch sorgt Andreas Coenen (Urban Rejects, Luca Brasi et al) am Mikrofon dafür, dass das Ganze im direkten Vergleich eine Spur weniger gechillt daher kommt. Das mag auch durchaus an dem Thema „Antifolklore“ liegen, dem sich Tattoo Rock annehmen, und das bereits 2010 in einer Einzelausstellung Tim Berresheims in New York ausführlich behandelt wurde. In direktem Zusammenhang mit dem Konzept des Transit stehend, wird damit eine Marschrichtung benannt, die im Optimalfall mit den nach wie vor – Stichwort Malereiboom – restaurativen und anachronistischen Tendenzen nichts mehr am Hut hat. Anspieltips: Die Wait Watchers: Shortcut, Tattoo Rock: Antifolklore

Tim Berresheim, No Time Left LP (Eventuell / 2006)

Das erste von insgesamt vier Soloalben Berresheims offenbarte nicht nur die musikalischen Skills des Multiinstrumentalisten, sondern lieferte mit seinen atmosphärischen, gleichermaßen experimentellen wie dubbigen Sounds, die ganz gut in der Schnittmenge zwischen Nurse With Wound und den Residents platziert werden können, auch eine Art Blaupause für die beiden letzten Alben der Wait Watchers. Bild und Ton stehen hier einmal mehr in engem Zusammenhang, handelt es sich bei den vier Tracks doch um Versuche die Erinnerung an die Atmosphäre biografisch relevanter Orte, die ihrerseits in Form von überarbeiteten Fotografien als Klappcover mitgeliefert werden, zu vertonen. Die zweite Hälfte der 2010er Jahre, mehr oder weniger, waren dann in erster Linie von Soloproduktionen geprägt – inklusive Money (2007), einem Konzeptalbum zum Thema Geld, und dem zwischen Plunderphonics und Elektroakustik changierenden Studies in Future Blues (2010), einem Release mit Computermusik, den er zur ersten Station einer Ausstellungstrilogie und der gleichnamigen LED-Arbeit aufgenommen hat.

Die Wait Watchers, We Are Smoking Caramellow LP (New Amerika Tapes / 2014)

Musikalisch streifen die Wait Watchers eigentlich so ziemlich alles zwischen New Wave und Muzak, um diese eklektische Ganze mit einem recht eigenen Zuckerguß zu überziehen, der einerseits für den entsprechenden Spaß an der Freud’ sorgt, aber andererseits diesem latent präsenten, unbehaglichen Gefühl seinen Raum lässt. Eskapismus hört sich anders an. Insofern ist es dann auch keine allzu große Überraschung mehr, wenn auf der LP We Are Smoking Caramellow, die 2014 zu Tim Berresheims Ausstellung „Auge und Welt“ im Düsseldorfer Kunstverein, mit Karsten Scholl (Teenage Panzerkorps, The Nazi Dogs et al) an den Vocals, eingespielt wurde, skeletöse Marschmusik mit deepem Dub kombiniert wird – fast schon repräsentativ für das konsequente Miteinander von Avantgarde und Hippietum, Futurismus und Kybernetik, Präzision und Rausch, Konzept und Exzess oder, um auf die Ausstellung zurückzukommen, Computerkunst und Mimeographie. Anspieltips: Too Stoned (To Fight), Hyia Holiday, Mellow Mortar

Die Wait Watchers, Suspension of Disbelief (IDEA Intermedia / 2018)

Suspension of Disbelief, das aktuelle Album der Wait Watchers, erschien jüngst parallel zu Tim Berresheims gleichnamigen Ausstellungen im Kunstmuseum Stuttgart, im Rahmen von „Mixed Realities“, und dem Neuen Aachener Kunstverein. Für den Titel stand der englische Romantikdichter, Kritiker und Philosoph Samuel Taylor Coleridge Pate, der in seiner Biographia Literaria (1817) von der „willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit“ („Suspension of Disbelief“) als notwendiger Voraussetzung für die adäquate Rezeption von Kunst gesprochen hat. Dieser rezeptionsästhetische Deal wurde in insgesamt acht Stationen visuell umgesetzt, deren akustische Untermalung wiederum auf dieser LP zu hören ist. Mehr noch als seine Vorgängeralben ist Suspension of Disbelief, das auf dem us-amerikanischen Label IDEA Intermedia erschien, von einer recht eigenen Spielart von Hauntology geprägt, in der – auch dank des verstärkten Einsatzes perkussiver Elemente sowie orchestraler Samples – Erinnerungen an Ambient oder TV-Soundtracks wachgerufen werden, sodass die ganze Unternehmung spätestens an diesem Punkt nicht nur für all diejenigen, die sich für die musikalischen Produktionen bildender Künstler/innen wie Kai Althoff oder Michaela Melián interessieren, ein Thema sein dürfte, sondern auch für Sympathisant/innen des Ghost Box Labels oder den Veröffentlichungen von Dean Blunt. Anspieltips: Fundus, Haruspex, Pactum

(analog veröffentlicht in der Festivalzeitung des Meakusma-Festivals 2018)

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