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Anna M. Storm

Antagonistische Avantgarde. Die "Köpfe" des amerikanischen Malers Holmead

Eine Rezension der Ausstellung "Holmead" (Wuppertal, Von der Heydt-Kunsthalle, 19.2.-7.5.2017)

Noch bis zum 7. Mai zeigt die Von der Heydt-Kunsthalle Wuppertal-Barmen den bislang kaum bekannten amerikanischen Künstler Clifford Holmead Phillips (1889-1975), dessen vielschichtiges Werk eine wahre Entdeckung ist. Die Werkschau präsentiert alle relevanten Phasen des Malers, trotzdem steht eine Reihe besonders prominent im Zentrum: Die "Köpfe", die in den letzten Jahren vor seinem Tod entstanden und sicherlich als die stärksten Darstellungen innerhalb des Oeuvres zu bezeichnen sind. Im Spätwerk findet Holmead zu einem überzeugend konstanten, farb- und ausdrucksstarken Duktus.

Holmead, dessen Werke nun allmählich wieder entdeckt werden, reist in den 1910er, 20er und 30er Jahren etwa dreißig Mal zwischen Europa und Amerika hin und her, finanziert durch das Geld der Familie, die eine Möbelfabrik besitzt. Sein Frühwerk ist geprägt durch ein Nebeneinander unterschiedlicher Stile und malerischer Formeln, die man als künstlerische Vielfältigkeit oder aber als jugendliche Unentschlossenheit deuten könnte. Als Autodidakt bezieht er seine Anregungen allein aus der Betrachtung. Er bewundert Soutine und Rembrandt, Kokoschka, Nolde und auch de Vlaminck, von dem er 1924 in Paris drei Werke kauft. Ende der 20er Jahre kommt er zu ersten nennenswerten Erfolgen, der Durchbruch scheint greifbar nah. 1927 werden seine Arbeiten u.a. in der Galerie Bernheim-Jeune in Paris gezeigt, 1930 stellt er bei Durand-Ruel aus. 1936 trifft er Marcel Duchamp in den USA. Mit dem Zweiten Weltkrieg kommt seine Karriere jedoch zum abrupten Erliegen und Holmead zieht sich von 1941 bis 1955 in die Vereinigten Staaten zurück, wo sich auch seine Motivwelt ändert. Mit religiösen und literarischen Motiven sucht er ein Vexierbild für die Schrecken des Krieges. Dabei gelingen Holmead immer wieder gekonnte Stiladaptionen, die von einer intensiven Auseinandersetzung mit Max Beckmann, Otto Dix und George Grosz, den er 1933 in New York getroffen hatte, zeugen. Zeitgenössische Kritiker ziehen den Vergleich zu James Ensor.

Die "Köpfe", die hauptsächlich zwischen 1970 und 1973 entstehen, resultieren nicht aus einer kontinuierlichen Werkentwicklung, sondern einem malerischen Neuanfang, den er selbst als ein Erwachen charakterisiert: „Viele Jahre habe ich in meinem Sarg geschlafen, bis ich mich entschloß, aufzuerstehen und etwas zu tun. Da erfand ich ‚shorthand-painting‘, eine Malweise, die nur bestehen kann, wenn sie augenblicklich und spontan gehandhabt wird. Und kristallklar dazu. Wenn ich mit einer Leinwand mehr als fünf oder acht Minuten herumpfusche, bekomme ich ein Postkartenbild, das man nicht gelten lassen kann.“ Ein Schlaganfall geht dem Neubeginn voraus und fordert technische Vereinfachung, der Holmead mit der Methode des ‚shorthand-painting‘ nachkommt. Intuitiv und gestisch gestalten sich die "Köpfe", die keiner mimetischen Beschreibung mehr folgen, sondern sich ganz Farbe und Ausdruck verschrieben haben.

Trotz neuem Anfang müssen die "Köpfe" weniger als Neuschöpfung denn vielmehr als Rückgriff verstanden werden, besticht die Reihe doch mehr als jede andere Werkgruppe Holmeads durch eine expressionistische Malweise, die als Rückbesinnung auf bereits Vergangenes zu deuten ist. Ob Holmead noch vor dem Ersten Weltkrieg Werke expressionistischer Künstler in Deutschland sah, ist nicht belegt, wohl bezeugen seine Arbeiten aber die Kenntnis dieser. Mit pastosem Spachtel-Duktus, kräftigen Ausdrucksfarben, die von ihrer beschreibenden Funktion befreit wurden, und einer groben Vereinfachung der Formen erinnern die Bildnisse an jene formal-ästhetischen Mittel, zu denen der deutsche Expressionismus ab 1905 fand. Damit verweigert Holmead radikal die künstlerischen Ausdrucksmittel seiner Zeit, den Formen des abstrakten Expressionismus, des Informel, der Pop Art, und bleibt einer längst überholten und veralteten Malweise verhaftet. Ungegenständlichkeit und Abstraktion lehnt der Maler rigoros ab. Er bezeichnet seinen Stil als ‚crude expressionism‘ und bestätigt damit die malerische Rückbesinnung.

Gibt das ‚shorthand-painting’ bereits die Methode Holmeads vor, weisen die "Köpfe" ferner ein klar erkennbares formal-ästhetisches Schema auf: Stirn und Wangen sind mit dem Spachtel horizontal geglättet, die Augen stehen weit auseinander, Nase und Mund werden durch eine schmale Linie gesetzt. Im Hintergrund wird die Farbe zu einer flächigen Schraffur geformt, mal dynamisch-wirr, mal homogen gradlinig. Dabei korrespondieren Duktus und Darstellung stets in konstruktivem Einklang. Den rundgesichtigen „Fleischer“ in weißem Arbeitskittel umgeben rote Farbstreifen und wecken so augenblicklich Assoziationen von Blut, Fleisch und Schlachtung. Der „Rothaarige Gassenjunge“, ungezähmt und wild, dürr und heimatlos, wird von gestischen Spachtelspuren einer dunkelblauen Farbpalette hinterfangen, ebenso wild wie der Junge selbst. Durch die malerische Reduktion unterliegen die Dargestellten einer stereotypen Vereinfachung, die niemals bösartige Karikatur sein will, sondern mal wohlwollende, mal humorvolle Annäherung an die Menschen – die Fotografien August Sanders mögen einem geschulten Betrachter hier in den Sinn kommen. „Es sind Charakterstudien von wirklichen Menschen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, die Formensprache zu lesen, erscheinen sie eher schön als erschreckend“, notiert Holmead.

Wenngleich Holmead Europa zu seiner selbstgewählten Heimat macht, in der er ab 1955 bis zu seinem Tod lebt, bleibt er doch stets Amerikaner – typisch amerikanische Sujets legen dies nahe. Die Porträtköpfe von Hippies und Schwarzen zeugen von einem wachem Blick in die Gesellschaft US-Amerikas und verleihen Holmeads Darstellungen zugleich eine Aktualität, die der Malduktus nicht gleich vermuten lässt. Mit der Motivwelt nimmt er Bezug zur Gegenwart auf, während seine gestalterischen Mittel der Vergangenheit verhaftet bleiben und jeglichen malerischen Mainstream ausblenden.

Die "Köpfe" Holmeads überzeugen durch ihre starken malerischen Mittel, den unverfälschten Ausdruck, das grob-pastose Farbspiel, sie gefallen auch, weil sie sich bekannt anfühlen. Holmeads Kunst, die nicht gebührend in den Kanon der Kunst des 20. Jahrhunderts aufgenommen wurde, ist allerdings keine Outsider-Kunst. Sie ist sich ihrer Andersartigkeit, ihrem Anachronismus durchaus bewusst und lässt sich als widerständige Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte verstehen. Zeitgenössische Aktualität erreicht Holmead nicht durch formale Setzungen, sondern durch das Sujet, mit dem er immer wieder dezidiert Bezug zur Gegenwart aufnimmt. Holmead ist ein prädestiniertes Beispiel für eine künstlerische Position, die sich quer zum Ordnungssystem der Moderne und Postmoderne verhält und auch deshalb so lang unentdeckt blieb.

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