Institut für Betrachtung

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Hans-Jürgen Hafner

Aufs Unendliche setzen. Spuren des künstlerischen Projekts von Catherine Christer Hennix

Ein Feature anlässlich der Ausstellung "Catherine Christer Hennix. Traversée du Fantasme" (Amsterdam, Stedelijk Museum, 16.2.-27.5.2018)

Informationen zu Werk und Biografie von Catherine Christer (oder C. C.) Hennix (Jg. 1948) sind spärlich gesät. Daran hat auch eine Reihe kürzlicher Tonträgerveröffentlichungen und, gerade in den letzten drei, vier Jahren, die etwas vermehrte Präsenz der Künstlerin entweder als Solo-Performerin oder mit ihrem Ensemble Chora(s)san Time-Court Mirage bei Konzerten und Festivals im Bereich Neuer Musik nichts wesentlich geändert. Selbst längere Recherche fördert nur wenig wirklich Handfestes zutage, das sich im Sinne einer künstlerischen Karriere einordnen oder als Werk interpretieren ließe. Faktisch mehr Projekt als Oeuvre, hängt sich Hennix’ Arbeit zwischen bildender Kunst, zeitweise mit akademischem Anspruch und professionell betriebener Mathematik, Computerwissenschaften, Dichtung, Komposition und Performance transdisziplinär ein. Zudem äußerte es sich – je nach Möglichkeit, Anlass und Laune – in sporadischen, schwer zu synthetisierenden Aktivitäten in verschiedenen Feldern. Auch deswegen ist Hennix’ künstlerisches Projekt kaum von dessen – ihrerseits einigermaßen verfahrenen – Rezeptionsgeschichte zu trennen. Davon also noch nicht gehört zu haben, ist im speziell für Wiederentdeckungen obskurer künstlerischer Positionen grundsätzlich ja äußerst aufgeschlossenen Kunstfeld dementsprechend keine Schande. Ohne weiteres für den Kunstbetrieb verwertbar ist dieses Projekt ohnehin nicht.
Im Feld der zeitgenössischen Musik, und dort am experimentelleren Ende, mehren sich gleichwohl die Anzeichen für ein wachsendes Interesse nicht nur an ihrem aktuellen Werk als Komponistin und Performerin sondern auch an seinem historischen Vorlauf und künstlerisch-konzeptionellen Kontext. Die Rezeption losgetreten hat überhaupt erst die – um dreieinhalb Jahrzehnte verspätete – Veröffentlichung von „The Electric Harpsichord“ durch das Mailänder Plattenlabel die Schachtel 2010. Die Komposition hatte Hennix 1976 realisiert. Ohnehin stellt sich jenes Jahr nach und nach als Schlüsseljahr für die künstlerische Entwicklung Hennix’ heraus, was eine weitere, aktuelle CD-Veröffentlichung ihres damaligen Ensembles The Deontic Miracle sowie eine aktuelle Ausstellung der Künstlerin im Stedelijk Museum Amsterdam mit zum Teil historischen Arbeiten erhärten. Vor der – auch dank des ausführlichen Booklets zur CD grundlegenden – Veröffentlichung von „The Electric Harpsichord“ war Hennix höchstens als Nebenfigur in Erscheinung getreten. Anfang der Nullerjahre erschien eine Reihe von Tonträgern mit Stücken des legendären – und selbst lange seitens der offiziellen Kunst- und Musikgeschichte missachteten – concept art-Pioniers, Künstlers, Philosophen, Komponisten und Musikers Henry Flynt bei dem in Chicago ansässigen Label Locust. Dabei handelt es sich unter anderem um gemeinsame Aufnahmen aus den 1980er Jahren, mit Flynt an der Gitarre bzw. Violine, begleitet von Hennix an Drums oder Tamburin.
Die erste eigene, reguläre Tonveröffentlichung von Hennix – damals als Christer Hennix-Lille – datiert allerdings schon auf das Jahr 1969 zurück und ist auf einer mittlerweile entlegenen (wenngleich auf CD wiederveröffentlichten) Compilation-Reihe des Schwedischen Rundfunks in Kooperation mit der nach wie vor bestehenden Künstlerinitiative Fylkingen zu finden. Diese Reihe aufwändiger LP-Box-Sets dokumentiert ein zwischen 1967 und 1971 alljährlich in Stockholm veranstaltetes Festival „Text-Sound Composition“, das – als zeittypisch ‚intermediales’ Projekt – zwischen neuen Musiken und speziell deren elektroakustischen und elektronischen Spielarten, Klangkunst und experimenteller Dichtung vermittelte. Hennix’ Beitrag ist ein sechseinhalb-minütiges Stück bemerkenswert früher, computergenerierter Musik: das herrlich erratische „Still Like, Q*“ auf Basis synthetischer Tonwellen, durch die geisterhafte Maschinenstimmen zu spuken scheinen. Das Stück wurde im 1964 als schwedisches Pendant zum Studio für elektronische Musik des Kölner WDR gegründeten Elektronmusikstudion (EMS) produziert. Dort hatte Hennix für kurze Zeit studiert, war nach eigener Aussage aber zugleich in der Stockholmer Jazz-Szene aktiv. Eine weitere Komposition, „Identitäten II“ scheint 1968 als visuelle Partitur beim kurzlebigen Avantgarde-Verlag Kerberos Förlag des Künstlers und Dichters Åke Hodell veröffentlicht worden zu sein. (Weder Stück noch Publikation konnte ich bisher in Augenschein nehmen.)

Die gut 25 Minuten von „The Electric Harpsichord“, die auf Tonband dokumentiert sind, gehen auf ein Konzert im Rahmen des achttägigen Programms „Brouwer’s Lattice“ – eine Referenz an den experimentellen Mathematiker und Intuitionisten L.E.J. Brouwer – zurück, das Hennix im März 1976 im Moderna Museet in Stockholm realisieren konnte. Nebenbei: Teil des Programms war auch das Stück „Central Palace Music (From 100 Model Subjects For Hegikan Roku)“, das Hennix mit ihrem elektroakustischen Ensemble The Deontic Miracle zusammen mit Peter Hennix und Hans Isgren zur Aufführung brachte. Das Stück für elektrisch verstärkten Sheng und zwei Barockoboen wurde kürzlich durch Important Records mit Sitz in Portland erstveröffentlicht.
„The Electric Harpsichord“ wurde am Spätnachmittag des 23. März auf einem gestimmten und elektrisch verstärkten Yamaha-Keyboard in Verbindung mit Sinus-Generatoren samt Delay-Technik ausgeführt. Es baut auf einem, als Effekt des Delays, lose pulsierenden Drone (mit der linken Hand gespielt) auf, über dessen Tonspektrum sich ein fragiles, mit der Rechten ausgeführtes, zunehmend dichter werdendes Layer aus improvisiert wirkenden, melismatischen Motiven entwickelt. Dieses Layer durchwebt den Klangraum im Zuge der Performance nach und nach und füllt ihn mit einer Art oszillierendem Driften, bis das Stück in einem langsamen Fadeout endet. Sekundenlang ist am Ende des Bandes nur noch ein isolierter Sinuston, elektrische Schwingung zu hören, was plötzlich abreißt. Damit ist einerseits das zur Aufnahme nötige technische Set-up markiert und das Stück zugleich im Hier und Jetzt der Performance verankert. Doch tatsächlich ist es kompositorisch so konzipiert – und wird so von den Hörern erlebt –, als könne dieses immer weiter ausgreifende klanglich-musikalische Ereignis von Räumen und Zeiten entkoppelt endlos weitergehen.
An den Tonraum des Keyboards angepasst, interpretiert „The Electric Harpsichord“ einen traditionellen indischen Rag und dokumentiert damit Hennix’ schon damals profunde Kenntnis klassischer Hindustani-Musik, mit der sie sich auf Vermittlung durch La Monte Young im Studium mit dem legendären Sänger/Guru Pandit Pran Nath auseinandergesetzt hatte. Young, selbst ein radikaler Erneuerer und in seiner Arbeit als Performer und Komponist konsequent außerhalb der institutionellen Vereinnahmung von Minimal Music als Genre stehend, hatte Nath bereits 1969 kennengelernt und ab 1970 wiederholt bei ihm assistiert.
„The Electric Harpsichord“ nur als Beleg für Hennix’ Auseinandersetzung mit der Dream Music Youngscher Prägung in Fusion mit klassischer indischer Musik heranzuziehen, würde allerdings zu kurz greifen; die historische Dimension des Tondokuments ist vielmehr an anderer Stelle zu veranschlagen. Henry Flynt, der damals bereits in Austausch mit Hennix steht, hört die Tonbandaufnahme eher zufällig im Sommer 1976 und erkennt in dem Stück eine regelrecht außerirdische Qualität. In einem 1998 verfassten Text, der im Booklet zum CD-Release von 2010 abgedruckt ist, nennt er es „a broadcast originating from something other than from planet earth“ und billigt ihm regelrecht psychoaktive Qualitäten zu. Zudem setzt er es in Bezug zu seinen eigenen musikalischen Projekten, die er auch als radikale Abkehr und Alternative zur westlich-europäischen Musik(hoch)kultur versteht. Flynts – damals rechtzeitige – Entdeckung markiert den Beginn eines produktiven Dialogs. Die Zusammenarbeit resultiert unter anderem in einem eigenen Genre, den so genannten „Halluziogenic/Ecstatic Sound Environments“ (HSE). Die ersten Kompositionen werden im Februar 1979 im New Yorker Konzertort The Kitchen vorgestellt, ohne dass die Tonbandpräsentation der neuen Kompositionen – 2011 teilweise veröffentlicht auf der CD „Glissando No. 1“ von Henry Flynt – seinerzeit auf große Resonanz stoßen würde. Eine Weiterentwicklung des Konzepts zu psychotrop wirksamen „Illuminatory Sound Environments“ (ISE) erfolgt anlässlich der ersten institutionellen Retrospektive Henry Flynts, „Activities 1959-“ (2012 vom Autor kuratiert) mit einer ersten, provisorischen Präsentation neuer Kompositionen im Subraum des Karlsruher ZKM.

Wer bisher nur das – nach wie vor bloß lückenhaft zugängliche – musikalische Projekt von Catherine Christer Hennix verfolgt hat, dürfte umso mehr von der Ausstellung „Traversée du Fantasme“ im Amsterdamer Stedelijk Museum überrascht sein. Die in zwei Kabinetten zu einer thematischen, auf Jacques Lacans Theorie sexueller Differenzierung bezogenen Installation eingerichtete Schau greift auf Arbeiten aus einem Zeitraum von immerhin vier Jahrzehnten zurück. Und es ist die erste institutionelle Ausstellung der Künstlerin seit, sage und schreibe, 1976. Ihren Aufhänger für „Traversée du Fantasme“ fanden die beiden Kuratoren, Karen Archey vom Stedelijk und der New Yorker Projektraumbetreiber und Verleger Lawrence Kumpf in einer Arbeit Hennix’ aus dem Sammlungsbestand des Museums, „C-Algebra w/ Undecidable Word Problem“ (1975-1991). Diese dürfte dort im Nachgang zu einer – auch damals schon seltenen – Beteiligung Hennix’ im mittlerweile aufgelassenen Museum FODOR an der Gruppenausstellung „Parler Femme“ (1991), ebenfalls mit Referenz auf Lacan, gelandet sein. Bei dieser Arbeit, ein auf den ersten Blick ungegenständlich-geometrisches Gemälde, das tatsächlich algebraische Terme, eine Art mathematisches Begriffs- und Notationssystem, zeigt, handelt es sich im Prinzip also um eine Art Dachbodenfund. Die um diesen Aufhänger herum, wie gesagt, thematisch arrangierten, teils historisch erhalten gebliebenen, teils rekonstruierten Arbeiten – darunter weitere auf algebraische Terme basierte Gemälde, Wandtexte (u. a. eine unlesbare „Traumschrift“), ein Modell für ein öffentliches Monument und Ready-made-Ensembles (paarweise auf Sockeln sitzende, ziemlich alberne Stofftiere) sowie situationsspezifisch vorgenommene Eingriffe (ein funktionierender,  asiatisch aussehender Zimmerspringbrunnen, eine Schwingtür mit je einem roten und einem blauen Türfeld, gedimmte Beleuchtung) – ist das Wenige, das man eben noch kriegen kann. Allein, diese wenigen Arbeiten sind ihrerseits hochgradig unterschiedlich, so wie sie auf einen faszinierend langen Entstehungszeitraum verweisen, mit den delikaten – für die Ausstellung aufwändig rekonstruierten – „Ultra-Black Paintings“, die in Ruß auf Leinwand ausgeführt sind, als frühe, wiederum auf 1976 zu datierende Belege.
Vielleicht entscheidender als zu entschlüsseln, was in „Traversée du Fantasme“ nun eigentlich zu sehen wäre, ist deshalb die Feststellung, dass es zu dieser Ausstellung gekommen, ja dass überhaupt etwas zu sehen ist. Neben dem Programm „Brouwer’s Lattice“ hatte Hennix im Herbst 1976 einen zweiten, prominenten Auftritt im Moderna Museet, diesmal mit einer umfangreichen Ausstellung „Toposes and Adjoints“, die vom 4. September bis zum 17. Oktober des Jahres zu sehen war. Die Schau enthielt, was sich von den spärlichen Dokumenten – etwa in der Publikation Charles Stein (ed.): Io#41: Being = Space x Action, North Atlantic Books, Berkeley 1988 – ablesen lässt, etwa die ersten Fassungen von Gemälden auf Basis algebraischer Ästhetik, als gewichtige Metallobjekte ausgeführte mathematische Zeichen (z. B. eckige Klammern), diagrammatische Wand- und Bodenarbeiten, Leuchtkästen usw. Nach der Schau galt Hennix, um einem Hinweis Henry Flynts zu folgen, als persona non grata in der Kunstwelt Schwedens. Umso besser, dass aktuell eine Veröffentlichung der gesammelten Schriften Hennix’ in zwei Bänden durch Blank Form Editions und die Publikation weiterer musikalischer Aufnahmen aus ihrem Archiv in Planung sind. Die Spurensuche nach einem Projekt, das in jeder Hinsicht aufs Unendliche setzt, geht dann, auf Basis neuen Materials und hinter bisher verborgenen Zugängen, weiter.     

(Abb. Catherine Christer Hennix, C-Algebra w Undecidable Word Problem, 1975-1991, acrylic paint on canvas, 195 x 270.5 x 5.5 cm, Courtesy Stedelijk Museum, Amsterdam)


 




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