Institut für Betrachtung
Hans-Jürgen Hafner
Outsider und so (zu Till Briegleb, Moderne Kunst - Wie man Eigensinn eingemeindet. Süddeutsche Zeitung, 04.10.2015)
So genannte ‚Outsider’ haben spätestens seit der breitenwirksamen Wiederentdeckung der seither und, vor allem nach ihrer Präsentation im Rahmen 55. Biennale von Venedig 2013, als Pionierin ungegenständlicher Malerei gehandelten Hilma af Klint Konjunktur im Kunstbetrieb, -handel und -diskurs. Das Wort Konjunktur ist dabei entscheidend. Es setzt Vergessen und reflexhaftes Wiedererkennen voraus. So neu, als wie es uns verkauft wird, ist das Phänomen nämlich nicht. Die umfangreiche Einbeziehung von Outsidern in Harald Szeemanns Ausstellung zur 49. Biennale von Venedig konnte noch 2001 nicht etwa als Novum sondern als Fortsetzung eines Projekts gelesen werden, das spätestens Ende der 1970er Jahre seinen Ausgang genommen und – pünktlich zur Kunstmarktkrise 1989 – im deutschen Sprachraum ‚gepeakt’ hatte. Der Zusammenhang von Konjunktur und Kritik ist leider nicht Thema von Till Brieglebs Diskussionsbeitrag zum aktuellen Outsider-Craze. Jener gemeindet seit rund zehn Jahren für die Kunst ein, was trotz aktiver Händler_innen und Kurator_innen nicht bei Drei vom sprichwörtlichen Baum außerhalb ihres mittlerweile stark expandierten Verwertungsbereichs heruntergeklettert ist. Für die Süddeutsche Zeitung fragt Briegleb anlässlich der gemeinschaftlich von Falk Wolf und Kasper König kuratierten – und im Übrigen hochgeförderten – Ausstellung „Der Schatten der Avantgarde. Rousseau und die vergessenen Meister“ im Essener Folkwang Museum irritiert: „Warum soll man diese ganzen widerspenstigen Positionen des Eigensinns überhaupt in den Kanon der Moderne eingliedern, wo sie doch so offensichtlich in Opposition zu deren Dogmen standen?“ Und er gibt selbst die Antwort: „Wenn man diese Meister wirklich aus der Vergessenheit reißen möchte, dann wären sie als Feinde des rationalen Kanons, als Künstler, die Gott und das Unvernünftige nicht von der Bettkante stoßen, sehr viel besser für die Unsterblichkeit nominiert.“ In anderen Worten liegt das dissidente Potenzial nicht in, sondern außerhalb der Kunst, und entsteht als komplexes Bezugssystem dazwischen. Viele andere Fragen wären darüber hinaus zu stellen, auch angesichts kürzlicher Ausstellungsprojekte zu den „Genialen Dilletanten“ im Haus der Kunst München oder „Atavismus und Avatar“ in der Kunsthalle Düsseldorf, die sich – von der Kritik weitgehend unbemerkt – um kuratorisch/methodische Legitimität in der Annäherung an ihren Gegenstand noch sehr viel weniger scheißen als das immerhin um eine Revision des Konzepts Outsider bemühte Essener Projekt. Das beträfe allerdings den Zusammenhang von Kritik und Konjunktur. Für erstere gäbe es dabei massiven Bedarf. Bedürfnisse und Konjunkturen scheinen aber seit längerem nicht mehr zusammenzuhängen.
http://www.sueddeutsche.de/kultur/moderne-kunst-wie-maneigensinn-eingemeindet-1.2676190#6
Kunstkritik, Till Briegleb, Outsider Art